bundessozialgericht, urteil vom 27.06.2024, B 3 KS 2/22 R


tenor

Die Revision wird zurückgewiesen. 

 

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

tatbestand

Im Streit steht die Feststellung einer Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ab 27.2.2018. 

 

Die 1986 geborene Klägerin erzielt seit Februar 2016 den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen. Ihren Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG lehnte die beklagte Künstlersozialkasse ab: Bei den Tätigkeiten der Klägerin überwiege der künstlerische oder publizistische Aspekt nicht (Bescheid vom 17.4.2018; Widerspruchsbescheid vom 19.3.2019). 

 

Das SG hat die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei als Hochzeitsrednerin nicht künstlerisch im Sinne von § 2 Satz 1 KSVG tätig. Es sei nicht die Form des Vortrags, sondern sein Gegenstand und Inhalt als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit anzusehen. Die Klägerin gehöre auch nicht zum Kreis der Publizisten nach § 2 Satz 2 KSVG. Bei ihrer Tätigkeit als Hochzeitsrednerin fehle es am hierfür erforderlichen Öffentlichkeitsbezug (Urteil vom 4.5.2022). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Einer künstlerischen Tätigkeit stehe entgegen, dass der Schwerpunkt bei Hochzeitsreden nicht in der eigenschöpferischen Gestaltung der Form des Vortrags liege. Im Vordergrund stehe vielmehr der Inhalt der Rede, der Wortbeitrag. Es handele sich auch nicht um eine publizistische Tätigkeit. Hierfür müsse sich das Werk an sich schon seinem Zweck nach an die Öffentlichkeit wenden (Verweis auf BSG vom 4.6.2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nr 26). Dies sei hier nicht der Fall. Die Tätigkeit der Klägerin sei derart individualisiert, dass kein öffentliches Interesse erkennbar sei (Urteil vom 23.11.2022). 

 

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin der Sache nach eine Verletzung von § 1 Nr 1 und § 2 KSVG. Das LSG habe nicht beachtet, dass bei der Tätigkeit der Klägerin die Rede (Publizistik) und ihr Vortrag (Kunst) gleichwertig nebeneinander stünden, und es habe sich nicht weiter mit dem Wesen der modernen freien Trauung auseinandergesetzt.

 

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. November 2022 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. Mai 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2019 aufzuheben und festzustellen, dass sie seit 27. Februar 2018 als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen versicherungspflichtig nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz ist.

 

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Klägerin als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen nicht versicherungspflichtig nach dem KSVG ist.

 

1. Die Revision ist entgegen den hiergegen vorgebrachten Zweifeln der Beklagten zulässig. Aus der Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) wird auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin seit dem Widerspruchsverfahren von ihrem Prozessbevollmächtigten vertreten wird und zwischen den Beteiligten seither zahlreiche Schriftsätze gewechselt worden sind, deutlich, dass nach wie vor die Einordnung der Hochzeitsreden als Kunst oder Publizistik streitig ist, die das LSG - weithin unter Verweis auf das SG - abgelehnt hat, wogegen sich die Revision mit materiell-rechtlichen Argumenten wendet.

 

2. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile der Vorinstanzen und der Bescheid der Beklagten vom 17.4.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.3.2019, durch die von der Beklagten die Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG abgelehnt worden ist und gegen die sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 55 Abs 1 Nr 1 SGG) wendet. Nachdem das SG die Klage abgewiesen und das LSG die Berufung zurückgewiesen hat, erstrebt die Klägerin mit ihrer Revision die Stattgabe ihrer Klage. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Senat ist die Verlautbarung der ohne mündliche Verhandlung getroffenen Entscheidung des LSG, hier durch Zustellung am 28.11.2022 (vgl näher BSG vom 4.6.2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nr 26, RdNr 13; vgl zur Entsprechung des Zeitpunkts des Wirksamwerdens eines Urteils im schriftlichen Verfahren durch Verlautbarung mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 124 RdNr 4b und § 125 RdNr 4b).

 

3. Rechtsgrundlage der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ist hier § 1 KSVG (in der Fassung des RVOrgG vom 9.12.2004, BGBl I 3242) iVm § 2 Satz 1 KSVG (in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze vom 13.6.2001, BGBl I 1027) und § 2 Satz 2 KSVG (in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011, BGBl I 3057). 

 

Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Neben weiteren Voraussetzungen erfordert dies eine selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit. Künstler in diesem Sinne ist, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt (§ 2 Satz 1 KSVG). Publizist im Sinne der Künstlersozialversicherung ist, wer als Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt (§ 2 Satz 2 KSVG). Im Streit steht zwischen den Beteiligten zu Recht allein die Künstler- oder Publizisteneigenschaft der Klägerin, dh hier, ob sie darstellende Kunst ausübt oder (in ähnlicher Weise) publizistisch tätig ist.

 

4. Für den Begriff der Kunst und für die Künstlereigenschaft im Sinne des KSVG knüpft der Senat in ständiger Rechtsprechung als Einordnungshilfe an die sog Katalogberufe nach dem "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)" aus dem Jahr 1975 (BT-Drucks 7/3071) und an den mit dem KSVG verfolgten Zweck des sozialen Schutzes selbständiger Künstler an. Dieser Zweck erfordert und rechtfertigt die Einbeziehung auch im Künstlerbericht nicht genannter Ausübungsformen von Kunst in den Schutz durch die Künstlersozialversicherung jedenfalls dann, wenn diese ungeachtet ihrer Neuartigkeit eine Nähe zu den im Künstlerbericht genannten typologischen Ausübungsformen aufweisen (vgl nur BSG vom 25.10.1995 - 3 RK 24/94 - BSGE 77, 21 = SozR 3-5425 § 24 Nr 12, juris RdNr 17 f; BSG vom 7.7.2005 - B 3 KR 37/04 R - SozR 4-5425 § 2 Nr 5, juris RdNr 13 f; BSG vom 28.9.2017 - B 3 KS 1/17 R - SozR 4-5425 § 2 Nr 25 RdNr 22). 

Für den Begriff der Publizistik und für die Publizisteneigenschaft im Sinne des KSVG knüpft der Senat in ständiger Rechtsprechung ebenfalls an den mit dem KSVG verfolgten Zweck des sozialen Schutzes selbständiger Publizisten (vgl nur BSG vom 4.6.2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nr 26, RdNr 17 mwN) sowie an den "Autorenreport" (Fohrbeck/Wiesand, Der Autorenreport, 1972) an (vgl BSG aaO, RdNr 23).

 

5. Die Klägerin, die den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen als selbständige Hochzeitsrednerin bei freien Trauungen erzielt, übt hiermit weder darstellende Kunst aus noch ist sie (in ähnlicher Weise) publizistisch tätig. Das Halten von Hochzeitsreden auf freien Trauungen fällt weder als Kunst noch als Publizistik in den Schutzbereich der Künstlersozialversicherung.

 

a) Die Klägerin ist als Hochzeitsrednerin nicht Künstlerin. 

Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Halten von Reden keine künstlerische Tätigkeit (vgl zu Trauerreden BSG vom 23.3.2006 - B 3 KR 9/05 R - BSGE 96, 141 = SozR 4-5425 § 2 Nr 7, RdNr 11 f); hieran hält der Senat fest. Als darstellende Künstler anerkannt werden können danach nur dem Schauspieler vergleichbare Sprecher wie Rezitatoren, Märchenerzähler oder Vorleser, die stimmlich und sprachlich auf die zu sprechenden Werke einwirken und diese nicht unerheblich künstlerisch gestalten. 

 

Daran fehlt es hier, ohne dass es insoweit auf den Unterschied von Trauerreden und Hochzeitsreden ankommt, weil unter Anerkennung einer eigenschöpferischen Gestaltung der Präsentation der Reden und deren Vielfalt nicht die Form ihres Vortrags den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin bildet, sondern der Gegenstand und Inhalt des anlassbezogenen Wortbeitrags im Vordergrund steht. Die Klägerin tritt nicht einer Schauspielerin oder Sprecherin vergleichbar mit dem Vortrag einer Rede auf, sondern sie hält eine Rede (vgl zur Abgrenzung zu Büttenreden bei Veranstaltungen des Kölner Karnevals BSG vom 20.3.1997 - 3 RK 17/96 - BSGE 80, 141 = SozR 3-5425 § 24 Nr 16, juris RdNr 13). 

 

Anderes folgt nicht aus dem Hinweis der Klägerin auf das Urteil des BFH vom 3.12.2015 (V R 61/14 - BFHE 252, 177). Dies schon deshalb nicht, weil dort bereits nicht darüber entschieden worden ist, ob Hochzeitsredner steuerrechtlich als ausübende Künstler anzusehen sind.

 

b) Die Klägerin ist als Hochzeitsrednerin auch nicht Publizistin. 

Nach der Rechtsprechung des Senats notwendig für die Publizistik ist der Öffentlichkeitsbezug (vgl BSG vom 4.6.2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nr 26, RdNr 28, 30, 37 f, unter Hinweis auf die Änderung des § 2 Satz 2 KSVG von "in anderer Weise" zu "in ähnlicher Weise" publizistisch tätig durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011, BGBl I 3057, als Reaktion des Gesetzgebers auf BSG vom 23.3.2006 - B 3 KR 9/05 R - BSGE 96, 141 = SozR 4-5425 § 2 Nr 7; vgl zur Einordnung dieser Reaktion als konstitutive Gesetzesänderung zur Korrektur der Rechtsprechung bereits BSG vom 16.7.2014 - B 3 KS 3/13 R - BSGE 116, 185 = SozR 4-5425 § 25 Nr 10, RdNr 13). Maßgeblich für eine hinreichende Ähnlichkeit einer Tätigkeit zum Leitbild des Schriftstellers oder Journalisten ist danach nicht nur ein öffentliches Interesse am verbreiteten Werk, sondern das Werk an sich muss sich schon seinem Zweck nach an die Öffentlichkeit wenden. 

 

Daran fehlt es bei Hochzeitsreden, die anders als Texte von Schriftstellern und Journalisten schon ihrem Zweck nach nicht auf eine Verbreitung in der Öffentlichkeit zielen, sondern sich auch bei freien Trauungen typischerweise an den Kreis der über das Brautpaar untereinander verbundenen Eingeladenen als Adressaten richten. Hieran ändert es nichts, wenn Reden der Klägerin von Anwesenden aufgenommen und, etwa in sozialen Medien, veröffentlicht werden, weil hierauf ihre Reden nicht zielen. Allein eine anzuerkennende Fähigkeit der Klägerin zur öffentlichen Rede bei freien Trauungen begründet nicht ihre Anerkennung als Publizistin im Sinne der Künstlersozialversicherung. 

 

Anderes würde entgegen der Annahme der Klägerin auch dann nicht gelten, wenn sie ihre gehaltenen Reden anschließend gesammelt in Buchform veröffentlichen sollte. Denn auch dann wären ihre individualisierten Hochzeitsreden, mit Blick auf die sie vorliegend allein den Zugang zur Künstlersozialversicherung begehrt, nicht darauf angelegt, durch ein im öffentlichen Interesse stehendes Thema ein nicht individuell und persönlich angesprochenes Publikum zu erreichen, würden sich also weiterhin nicht schon ihrem Zweck nach an die Öffentlichkeit wenden (vgl zu diesen Anforderungen erneut BSG vom 4.6.2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nr 26, RdNr 38).

 

6. Ein Bedarf, die bisherigen Maßstäbe zur Kunst und zur Publizistik mit Blick auf die Tätigkeit der Klägerin als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen zu präzisieren und bezogen hierauf eine neue Gruppe von Künstlern oder Publizisten zu konturieren, ist für den Senat nicht erkennbar geworden. Dieser vermag insbesondere nicht allein daraus zu folgen, dass sich bei freien Trauungen die Elemente der Rede und ihres Vortrags zu verbinden vermögen. Denn auch bei einem gemischten Berufsbild kann von einer künstlerischen bzw publizistischen Tätigkeit nur ausgegangen werden, wenn gerade die künstlerischen bzw publizistischen Tätigkeitselemente das Gesamtbild prägen (vgl BSG vom 4.6.2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nr 26, RdNr 18 mwN). Daran fehlt es nach dem oben Ausgeführten hier.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.